Warum wir heute keine Märtyrer verstehen – Eine Analyse zum Verlust des Altruismus – Teil 1

Von Redaktion

Altruismus (lat. alter ‚der Andere‘) bedeutet in der Alltagssprache „Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit, durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete Denk- und Handlungsweise“. Es geht also darum, selbst zurückzustehen, bis dahin, sich selbst auch für das Wohl anderer aufzuopfern. Mit einem Blick in die Geschichte trifft man immer wieder auf Verhaltensweisen des Altruismus, der eine besonders starke Ausprägung im heroischen Altruismus der Kriegerethik findet. Dieser heroische Altruismus ist der Stoff für all die Heldensagen, die Generation um Generation immer wieder inspirierten.

 

Die Selbstverwirklichung in der modernen Gesellschaft

Heute scheint viel vom altruistischen Verhalten in der Gesellschaft verloren gegangen zu sein. Die ganze kapitalistische Gesellschaft basiert sogar auf der Annahme, dass jeder primär auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Im Fernsehen wird die Selbstsucht geradezu zelebriert. Mit Sprüchen wie “Geiz ist geil” und “weil ich es mir wert bin” kann man heute umfassend werben. Auch das Rennen auf der Karriereleiter braucht als Treibstoff mehr den Ehrgeiz und das Hauptaugenmerk auf das eigene Vorankommen als Kooperation und Umsichtigkeit. Schon die Kinder wollen wir in der Schule mit der Weisheit motivieren: “Du machst das alles nur für dich”.

Natürlich präsentiert sich heute noch immer jeder gerne als selbstlos. Oft handelt es sich dabei jedoch mehr um eine prestigeträchtige Fassade, als um ein ehrliches Zurückstecken der eigenen Interessen. Eine kleine Spende hier und ein bisschen Entrüsten über dies und das und man schläft mit einem ruhigen Gewissen. Die Messlatte für Selbstlosigkeit liegt tief. Es reicht schon aus, unverbindlich für vermeintlich unterdrückte Minderheiten Partei zu ergreifen, um von einem selbstlosen Kampf sprechen zu dürfen. Asylanten wird man beispielsweise wohl kaum in den eigenen vier Wänden unterbringen, aber die Opferbereitschaft reicht aus, um sich etwas anzustrengen und ein wenig für den “zivilen Ungehorsam” in die Trillerpfeife zu pusten, um vermeintlich für die Flüchtlinge zu protestieren. Oft wird dabei sogar phrasenhaft von Courage und Mut gesprochen. Die wenigsten dieser “Helden” würden wirklich darauf hinarbeiten, bei uns grundsätzliche politische Veränderungen herbeizuführen (bezüglich Globalisierung und Konsumverhalten bzw. Schaffung von Krisenherden durch Unterstützung der US-Politik), um den Zuwanderern in ihren Herkunftsländern nachhaltig zu helfen.

Es geht eben mehr darum, sich aufzuspielen, weniger darum zu helfen. Die Möglichkeit zum oberflächlichen Pseudo-Humanismus, bei dem man in Wirklichkeit rein gar nichts riskieren muss, sind unerschöpflich. Eine Mischung aus selbstgerechter Empörung, weitgehendem politischen Konformismus und wirtschaftlichem Erfolg macht den guten Bürger aus und nicht seine Bereitschaft, sich tatsächlich persönlich in den Hintergrund zu stellen.

Diese Entwicklung kommt auch nicht von ungefähr. Die vorherrschende Ideologie des Liberalismus predigt die Selbstverwirklichung des Individuums und seine Befreiung von der Einbindung in eine Gemeinschaft oder zumindest von der Verantwortung und der Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl. Das Gemeinwohl wird angeblich dadurch gewährleistet, dass sich jeder unbeschränkt ausleben kann, solange er wiederum augenscheinlich keinem anderen Individuum schadet. Wenn jeder an sich selber denkt, ist auch an alle gedacht und das soll auch vollkommen ausreichen. Die egoistischen Interessen werden fälschlich zum Interesse des Kollektivs aufsummiert. Tatsächlich ist aber der Altruismus weit mehr im Sinne des Gemeinwohls als die Selbstverwirklichung des Einzelnen. Es ist überhaupt nicht zu klären, wo der Schaden für den einen durch die ausgedehnte “Freiheit” des anderen beginnt und erst recht nicht, ab wann bei willkürlicher Selbstverwirklichung ein Schaden für die Gemeinschaft entsteht. Die Maxime, alles tun zu können, hat mehr mit Chaos, in dem Freiheit unmöglich wird, als mit echter Freiheit zu tun, die es nur innerhalb einer funktionierenden Gemeinschaft geben kann.

 

Der heroische Altruismus

Eine gewisse Begeisterung für den heroischen Altruismus findet sich heute fast nur noch in der Fiktion der Kinowelt. Damit fällt ein echtes Verständnis für diese Aufopferung aber in die Unterhaltung und in das Irreale ab und hat dann mit uns und unserem realen Leben nichts mehr zu tun. Haben uns früher noch die Geschichten von der selbstlosen Aufopferung unserer Großväter in den großen Schlachten durch Jahrhunderte hindurch begeistert, gilt eine solche Faszination heute als töricht und rückständig. Diese Geschichten haben jedoch nicht nur einen Bezug zur Realität, sie rufen uns auch direkt dazu auf, uns an unseren Vorfahren ein Beispiel zu nehmen. Dabei soll das selbstlose Opfer des eigenen Lebens nicht zu etwas Gewöhnlichem werden, das ohne Weiteres abverlangt werden kann. Die Todesbereitschaft der Soldaten bleibt ein strahlendes und außergewöhnliches Ideal, das als höchste Form der Selbstlosigkeit gewürdigt und nicht als naive Dummheit verlacht werden sollte.

Was am Krieg schon immer fasziniert hat, war eben die Möglichkeit, unter Beweis zu stellen, was man für die Gemeinschaft zu leisten bereit war und nicht das Töten und die Eroberungen. Man war stolz auf sich, die Leistungen und die Leidenschaft des Volkes und setzte sich für das Interesse des Volkes mit dem eigenen Leben ein. Es geht nicht darum, sich eine Möglichkeit zu suchen, in den Krieg zu ziehen oder auf den Krieg hinzuarbeiten, schließlich schadet dieser dem Gemeinwohl und dem Volk wie kaum etwas anderes! Es soll keine Voraussetzung geschaffen werden, junge Soldaten als williges Kanonenfutter in die Schlacht zu werfen. Das darf nicht missverstanden werden. Man darf die Faszination an der Opferbereitschaft und den Herausforderungen nicht mit der Instrumentalisierung desselben verwechseln. Es geht ausschließlich um das Ideal des bedingungslosen Einsatzes für diejenigen, die man liebt. Damit geht es um den größtmöglichen Beweis der eigenen Liebe und damit wiederum um die Liebe selbst.

Liebe ist kein Gegensatz zum Krieg. Vielmehr treffen im Krieg größtmöglicher Hass mit größtmöglicher Liebe in Verbindung mit bitterem Tod, schmerzhaftem Verlust, unausweichlichem Ende, streitbarem Lebenswillen, brennender Leidenschaft, triumphalem Sieg und strahlendem Neuanfang aufeinander und mischen sich zu einem Urphänomen des von Natur aus kooperativen aber eben auch konfliktiven Menschentums. Deswegen sollte man auch nicht vom Altruismus sprechen, ohne den Krieg und die Todesbereitschaft der Soldaten zu erwähnen.

 

Selbstlosigkeit in allen Lebenssituationen

Der Altruismus ist aber keinesfalls auf das Pflichtgefühl des Soldaten zu beschränken. Man kann in weit mehr Lebenssituationen für das Wohl anderer eintreten. Im Grunde geht es beim Altruismus um alle Situationen, in denen man zum Nutzen anderer und nicht zum Eigennutz handelt. So war die Motivation für harte Arbeit in der Vergangenheit auch dadurch bestimmt, den Reichtum der eigenen Familie und des Volks mehren zu wollen. Heute geht es mehr um den eigenen Verdienst und das Volk und die Familie rücken in den Hintergrund. Auch der Kinderreichtum der Vergangenheit ist auf ein Zurückstellen der individuellen Bedürfnisse von Vater und Mutter zurückzuführen. Droht andern eine Gefahr, beispielsweise durch ein Feuer, ergeben sich ebenfalls Situationen, in denen Altruismus leben retten kann oder zum Verlust des eigenen führt. Die Feuerwehren bestehen in Deutschland zum größten Teil aus Freiwilligen. Heute kämpfen sie vielerorts um ihr Bestehen, da kaum Freiwillige nachrücken.

 

Die schwindenden Voraussetzungen des Altruismus

Für den Altruismus braucht es allerdings immer ein konkretes Verantwortungsbewusstsein, das ihn auslöst. Ist die Gemeinschaft, auf die sich das Gemeinwohl bezieht und aus der sich das Verantwortungsbewusstsein bilden soll, zu un­spe­zi­fisch und zu abstrakt, schwächt sich logischerweise die Identifikation mit der Gemeinschaft und dadurch auch der Altruismus zu anderen Mitgliedern. Der omnipräsente Kosmopolitismus führt aus diesem Grund heute zu einer Schwächung der Selbstlosigkeit und schafft beste Bedingungen für eine Ellenbogengesellschaft. Damit entsteht aber auch das Umfeld, in dem der Liberalismus und der Kapitalismus an Stärke gewinnen und darin ist der Grund zu suchen, warum beide Systeme (oder besser ihre Synthese) auf eine Indifferenzierung der Völker und auf multikulturelle Gesellschaften hinarbeiten.

Dass der Altruismus mit einer starken Gruppenidentität zusammenhängt und daher auch einen Zusammenhang mit klarer Ausdifferenzierung zwischen dem Eigenen und dem Fremden aufweist, zeigt die Soziobiologie. Im nächsten Teil wird auf die soziobiologische Erklärung altruistischer Verhaltensweisen weiter eingegangen, um abschließend genauer bestimmen zu können, warum die Selbstlosigkeit als Ideal verschwindet und was der Verlust für uns bedeutet.

Weiterlesen im zweiten Teil.

Dieser Beitrag erschien zuerst 2014 auf dem Blog www.identitas-gemeinschaft.info, welcher mittlerweile nicht mehr existiert.

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