Kommentar: Das AfD-Urteil vor der Verwaltungsgericht Köln
Vor einigen Monaten erging vor dem Verwaltungsgericht in Köln ein noch nicht rechtskräftiges Urteil, wonach die Alternative für Deutschland („AfD“) vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft werden kann und demnach künftig in den Verfassungsschutzberichten erwähnt wird und mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden konnte. Die Teilerfolge in dem Urteil zugunsten der AfD zur Einstufung des Flügels und seiner Mitgliederzahlen, dürften für den Gesamtkomplex nur eine geringfügige Rolle spielen.
Für die mediale Berichterstattung liefert dieses Urteil nichts weiter als ein paar Artikel-Headlines. Die Verkündung reicht. Kaum einer der Journalisten wird sich im Nachgang die Mühe gemacht haben, dass vollständige Urteil zu lesen und einem kritischen Blick zu unterziehen, der auch logische Widersprüche und Absurditäten aufzeigt. Das ist unerheblich für die Mainstreamjournalisten. Ihnen reicht das Attribut „verfassungsfeindlich“, um damit einen wiederholungsfähigen Frame zu haben, der sich in die Köpfe einbrennt. Letzteres entspricht dem politischen Ziel der Regierungsparteien.
Wir haben jedoch einen genauen Blick auf das Urteil geworfen und wollen an dieser Stelle die argumentative Vorgehensweise des Verfassungsschutzes (VS) und des Verwaltungsgericht Köln (VG-Köln) genauer unter die Lupe nehmen, da Duktus und Zitation teilweise identisch sind zu den Urteilen und bekannten staatlichen Vorwürfen gegenüber der Identitären Bewegung Deutschland:
Der inhaltliche Kern des Urteils kreist auch ähnlich wie im Verfahren der Identitären Bewegung um einen „ethnisch-kulturellen Volksbegriff“. Dieser sei verfassungswidrig und nicht vereinbar mit der Menschenwürde in Art. 1 GG. Demnach kenne das Grundgesetz keinen „ausschließlich an ethnischen Kategorien ausgerichteten Volksbegriff“. Die Staatsgewalt ginge lediglich von der Summe der Staatsangehörigen und den nach Art. 116 GG Abs. 1 gleichgestellten Personen aus. Mit Art. 116 GG Abs. 1 wird jedoch explizit eine Personengruppe kategorisiert, deren Zugehörigkeit zum deutschen Volk eben nicht abschließend über die Staatsangehörigkeit abgebildet werden kann. Es handelt sich um Spätaussiedler und Vertriebene, die als Deutsche im Dritten Reich vertrieben wurden und sich im Ausland niedergelassen haben. Die Väter des Grundgesetzes sahen diese Menschen und ihre Abkömmlinge nach dem zweiten Weltkrieg als deutsche Volkszugehörige, denen auf Wunsch im vereinfachten Verfahren die deutsche Staatszugehörigkeit zustand.
Das heißt das Grundgesetz und Vertriebenengesetz treffen aus ihrer inneren Logik heraus schon eine Unterscheidung zwischen dem deutschen Volk und deutschem Staatsvolk. Dadurch müssen Kriterien festgelegt werden, die auch eine nähere Bestimmung der deutschen Volkszugehörigen ermöglichen. Während die deutsche Staatsangehörigkeit lediglich als einfachgesetzliche juristische Institution dient, waren sich die Grundgesetzväter durchaus bewusst, dass hierüber allein die verfassungsrechtliche Volkszugehörigkeit nicht abschließend bestimmt werden kann. Diese Tatsachen werden vom Gericht und Verfassungsschutz jedoch bewusst ignoriert.
Es ist sicherlich zutreffend, dass die ethnisch-kulturelle Identität nicht die abschließende Konstitution der Staatsbürgerschaft sein kann und letztere auch einen rechtssicheren Rahmen braucht, da die ethnisch-kulturelle Identität immer auch von Unbestimmtheiten, Graubereichen und Übergangszonen geprägt ist. In den staatsbürgerschaftlichen Regeln braucht es klare gesetzliche Kriterienkataloge, die mittels politischer Entscheidungsmacht auch restriktiver oder offener gestaltet werden können. Doch diese einfachgesetzliche juristische Ebene der Staatsangehörigkeit kann nicht von einer deskriptiven Erkenntnis des Volksbegriffes im ethnisch-kulturellen Sinne getrennt werden. Denn erst die Ebenen des ethnisch-kulturellen Volksbegriffes sind Ausdruck politischer Debatten über Leitkultur, Migration und Identität. Indem die Gerichte und der Verfassungsschutz den ethnisch-kulturellen Begriff sogar in seiner bloßen Beschreibungsfunktion für unzulässig erklären, werden weitreichende politische und gesellschaftliche Debatten faktisch zensiert.
Es sind jedoch nicht nur historische und begriffliche Unschärfen, die den Tenor des Urteils durchziehen. Wer schon immer eine gewisse Politisierung der Gerichte vermutete, wird in dem AfD-Urteil jedenfalls bestätigt, wenn mit offensichtlichen Falschbehauptungen, Strohmännern und Terminologien aus dem linken Jargon gearbeitet wird. So sei die Verwendung des Begriffes des Großen Austausches schon ein Indiz für eine verfassungsfeindliche Bestrebung.
Im Urteil heißt es wörtlich:
Der Terminus des „Großen Austausches“ bezeichnet (insbesondere) nach dem Verständnis der Identitären Bewegung einen schrittweisen Prozess, durch den die heimisch angestammte Bevölkerung, durch (insbesondere außereuropäische) verdrängt und ausgetauscht wird. Da dieses Konzept der abstammungsbezogenen Begrenzung der „deutschen Volksgemeinschaft“ und der Notwendigkeit, diese vor einer Vermischung mit anderen Rassen zu schützen auf völkisch-ethnischen Vorstellungen eines ethnisch vorhergehenden deutschen Volkes beruht, stellt das Vertreten dieses Konzeptes einen tatsächlichen Anhaltspunkt für eine gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebung dar.
Es ist schon reichlich unverfroren, dass das Gericht dieses Phänomen mit Begriffen umschreibt, die nie von der Identitären Bewegung verwendet wurden und auch nicht kenntlich macht, dass es sich hier um eine fantasievolle Meinungsäußerung des Gerichts handelt und nicht etwa eine tatsächliche Wiedergabe von Texten der Identitären Bewegung. Mit „deutscher Volksgemeinschaft“ und „Vermischung der Rassen“ werden ohne Tatsachengrundlage lediglich möglichst schaurige Terminologien und Schlagwörter verwendet, die krampfhaft versuchen, die simple demographische Tatsache des Großen Austausches in einen NS-Rahmen zu pressen. Solche semantischen Manipulationen ist man bisher vielleicht von Antifa-Blogs und den linken Berufsexperten für Rechtsextremismus gewohnt. Ein juristisches Urteil, welches mit diesen unsachlichen Formulierungen lediglich einen diabolischen Strohmann aufstellen will, handelt jedoch höchst unseriös und ist sachlich falsch. Auch bei vielen anderen Stellen im Urteil erfindet das Gericht Begriffe hinzu, und erweckt damit den Eindruck, dass sich AfD-Funktionäre diese zu eigen machen würden. Immer wieder werden Forderungen nach „Reinheit“ und „Homogenität“ unterstellt, was schlussendlich eine intellektuelle Verweigerungshaltung des Gerichts offenbart, die Abstufungen, Übergänge, Kontinuitäten, Relationen und Differenzierungen des Volksbegriffes überhaupt auch nur im Ansatz zu würdigen. Für das Gericht und den Verfassungsschutz scheint das Volk nur noch in einer binären Logik aus Summe der Staatsbürger oder Ethnisch-Reine Volksgemeinschaft zu bestehen.
Selbst an den Stellen, wo das Gericht sich mit den differenzierten Standpunkten der AfD (und auch anderen patriotischen Akteuren) auseinandersetzen muss, wird die einseitige und undifferenzierte Umdeutung des Volksbegriffes deutlich:
Völkisch-abstammungsmäßige und rassistische Kriterien verstoßen auch dann gegen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG wenn sie nicht absolut gelten und es Ausnahmen geben soll.
und
(…) ist die politische Forderung nach dem Erhalt der ethnischen Identität des Deutschen Volkes aber ohnehin nicht erst dann verfassungswidrig, wenn sie die rechtliche Ausgrenzung und Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger anderer ethnischer Zugehörigkeit bedeutet und mit der Forderung der Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger wegen ihrer ethnischen und kulturellen Zugehörigkeit verbunden wird.
Das heißt selbst wenn die Regularien des Staatsangehörigkeitsrechts unberührt bleiben, ist jegliche Vorstellung eines Volksbegriffes, der auf ethnisch-kulturellen Komponenten aufbaut per se verfassungsfeindlich. Manchen mag die Tragweite dieser diskursiven Eingrenzung noch gar nicht bewusst sein. Denn sie bedeutet, dass weder akademisch, politisch noch gesellschaftlich eine offene Debatte und Aushandlung über Identität und Zugehörigkeit stattfinden kann. Die Leitplanke ist nunmehr nur noch das Volk als Rechtsgemeinschaft ohne historisches Bewusstsein, ohne kulturelle Klammer und ohne Herkunft.
Die ethnokulturelle Identität eines Volkes ist tatsächlich jedoch keine unveränderliche Essenz und ist vielmehr eine Fließbewegung als ein starres Konzept. Somit gab es in der Geschichte auch stets Zuwanderungsbewegungen, die sich langfristig in das Volk assimiliert haben und unzweifelhaft Volkszugehörige geworden sind. Um diese Assimilationskraft zu erhalten, braucht es jedoch einen zu erhaltenden allgemeinen kulturellen Konsens in der Gesellschaft. Doch laut dem VG Köln Urteil stellt die Anforderung der Assimilation eine unzumutbare Bringschuld der Zuwanderer dar und gilt daher ebenfalls bereits als verfassungsfeindliches Indiz.
Soweit Zuwanderung überhaupt akzeptiert werde, fordere er (Höcke) eine vollständige Assimilierung und damit die Aufgabe der religiösen und kulturellen Prägung. Damit werde das mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Zumutbare überschritten.
Dass eine „vollständige“ Assimilierung die Aufgabe der durch Art. 6 GG verfassungsrechtlich garantierten Religionsfreiheit bedeuten soll, ist wiederum eine fantasievolle Erfindung des Gerichts. Immerhin gesteht das Gericht zumindest Zuwanderern, die eine Minderheit darstellen, eine besondere religiöse und kulturelle Prägung zu. Man hofft vermutlich vergeblich, dass das Gericht und der von den Regierungsparteien instrumentalisierte Verfassungsschutz dies gleichfalls der in Deutschland lebenden Mehrheit und ihrer kulturellen Werte des christlichen Abendlandes zubilligt.
Die scheuklappenartige Einseitigkeit des Gerichts ist bemerkenswert, da dies auch die früheren Unionsdiskurse Anfang der 2000er Jahre über die „Leitkultur“ theoretisch in einen verfassungswidrigen Kontext stellen könnte. Manche CDU/CSU- Protagonisten forderten schon damals eine stärkere Identifikation der Einwanderer mit Deutschland und wollten dabei nicht nur einen leeren Verfassungspatriotismus zum Maßstab erheben. Wenn der Verfassungsschutz und das Gericht jeglichen Volksbegriff zurückweisen, der über die Staatsbürgerschaft hinausgeht, dann ist es immerhin auch konsequent, eine assimilatorische Politik abzulehnen. Denn wo das Volk lediglich eine addierte Masse von Staatsbürgern ist, beschränken sich die Zugänge zum Volk auch lediglich auf die Voraussetzungskriterien zum Erwerb der Staatsangehörigkeit, wodurch die Konzepte Integration und Multikultur für das gesellschaftliche Zusammenleben ausreichend wären. Auf der juristischen Volksbegriffsebene ist dies auch unproblematisch. In einer gesellschaftlichen und politischen Debatte über Identität, Demographie und Kultur ist dieses Verständnis jedoch eine zu starke Verkürzung, die die weiteren Identitätseigenschaften eines Volkes außer Acht lässt.
Auch das Grundsatzprogramm der AfD wurde an manchen Stellen vom Gericht als verfassungsfeindlich gewertet. Anknüpfungspunkt ist hier wiederum der ethnisch-kulturelle Volksbegriff, der schon dann unterstellt wird, wenn simple demographische Fakten wie die höheren Geburtenraten von Migranten innerhalb Deutschlands deskriptiv benannt werden:
Dass die Geburtenrate unter Migranten mit mehr als 1,8 Kindern deutlich höher liegt als unter deutschstämmigen Frauen, verstärkt den ethnischkulturellen Wandel der Bevölkerungsstruktur“ (AfD Grundsatzprogramm).
Hieraus lässt sich ablesen, dass die Klägerin (AfD) einen ethnischkulturellen Wandel der Bevölkerungsstruktur ablehnt. Ein solcher Wandel droht nach der Klägerin schon dadurch, dass die Geburtenrate unter Migranten über der der deutschstämmigen Frauen liegt. Wenn ein solcher Wandel aber allein an der Geburtenrate liegt, koppelt die Klägerin die ethnischkulturelle Identität des Volks letztlich an die Ethnie.
Es ist das ewig gleiche Bild einer „Begründungsschleife“. Der Verfassungsschutz und die Gerichte setzen einen dogmatischen Volksbegriff und nehmen sich ohne weiterführende Begründung Art. 1 GG (Menschenwürde) als Universalwaffe, um damit jedes Denken, jede politische Überlegung und Konzeption anderer Volksbegriffe als verfassungsfeindlich zu brandmarken. Hier werden objektive und historische Fakten bewusst mit einer rechtsstaatlich bedenklichen juristischen Keule zerschlagen.
Umso wichtiger erscheint es jetzt, dass das patriotische Lager genau hier in ein Kampffeld geworfen wird, wo alle intellektuellen und wissenschaftlichen Ressourcen mobilisiert werden müssen. Denn es trifft nicht nur die politisch Gebrandmarkten, sondern auch Hochschulprofessoren. In der Frage des ethnokulturellen Volksbegriffes braucht das konservativ-rechte Lager eine ganzheitliche geistige Kraftanstrengung. Der Deutungsmacht über den Volksbegriff ist eine der entscheidendsten Schlüsselressourcen im geistigen und inhaltlich-programmatischen Kampf für unser Volk.
Bildquelle: Metropolico.org, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons