Der Flüchtling als neuer Heiliger
„Margarete: Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.
Faust: Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ‘ ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
Margarete: Das ist nicht recht, man muß dran glauben.
Faust: Muß man?“
Goethe, Faust, Marthens Garten
Dieses Gespräch zwischen Faust und Gretchen wirkt ob seines Gegenstandes ein wenig angestaubt. Was aber passiert, wenn man unter Religion heutzutage mehr die allerorten anzutreffende Beweihräucherung von (oftmals bloß sogenannten) Flüchtlingen als das christliche Glaubensbekenntnis versteht? Dann wandelt sich die Gretchenfrage – und wer jemals einem tapferen Gretchen frei heraus, ganz ketzerisch geantwortet hat, wird wissen, dass die Flüchtlingsproblematik heute die Gemüter aufzuwiegeln vermag, wie einstmals nur eine Abkehr vom Glauben.
Woran liegt das? Verlässt man an dieser Stelle nicht den Bereich der Politik, wenn die Bewertung von Lösungen nur noch – in ganz manichäischer Tradition – zwischen gut und böse oszilliert? Ja, verlässt man hier nicht gar die Domäne der Moral und nähert sich dem Heiligen an?
Der Heilige…
Bereits im Jahr 2013 spielte sich etwas Unfassbares ab: In Berlin kam es im Zuge der Besetzung des Oranienplatzes durch „Refugees“ zu einer Vergewaltigung einer linken Unterstützerin durch einen Flüchtling. Völlig desillusioniert von dem internen Umgang mit diesem Vorfall (zur Polizei wollte die junge Frau aus persönlichen Gründen nicht gehen), entschloss sich die Aktivistin, den Ablauf der Geschehnisse, die sich nach der Tat ereigneten, über das linksextreme Portal indymedia zu veröffentlichen. Was dort zu lesen ist, verschlägt einem die Sprache:
„Was nun folgte, war fast schlimmer, als die Tat selbst.
Ich wurde gebeten, den Vorgang detailliert zu beschreiben. Es gab immer wieder Gespräche abwechselnd mit ihm und mir. Ihm wurde immer wieder die Möglichkeit gegeben, sich zu äußern, zu leugnen und mich als berechnendes Wesen darzustellen. Mir wurde ebenfalls detailliert berichtet, wie er die Situation geschildert hat. Der Vorfall wurde weder publik gemacht, noch wurde mir die Garantie gegeben, mich frei auf dem Gelände zu bewegen. Mit dem Resultat, dass ich nie wieder dorthin ging. Die Vorschläge reichten von „wir setzen uns alle gemeinsam zusammen und sprechen darüber, war doch alles nur ein Missverständnis“ über „beide Parteien tragen ihre Variante der Situation an unterschiedlichen Tagen vor dem Plenum vor und dieses entscheidet dann“ bis zu „beide Parteien treten gemeinsam vors Plenum und dann wird beraten“. Dieser Vorgang zog sich unglaublich lange hin und ich hatte währenddessen immer den Eindruck, dass er mehr geschützt wird als ich. Irgendwann also zog ich mich zurück, kapitulierte.“ [1]
Die Frau gab ferner zu Protokoll, dass außer ihr noch mindestens zwei weitere Frauen Opfer von Vergewaltigungen innerhalb des „Refugee-Protest-Camps“ in Berlin-Kreuzberg geworden seien. Doch anstatt damit innerhalb der Linken eine längst überfällige Diskussion über die mit außereuropäischen „Flüchtlingen“ importierten kulturellen und ethnischen Spannungen loszutreten, wurden ihr aus den eigenen Reihen heftige Vorwürfe gemacht. So heißt es direkt im ersten Kommentar unter ihrem Bericht:
„was dir passiert ist, is absolut scheisse und dass du im nachhinein keine unterstützung bekommen hast auch. allerdings ist deine darstellung sehr gut für rassistische stimmungsmache geeignet und da hätte ich von dir als ex-unterstützerin mehr respekt vor der bewegung und all den menschen erwartet, die im camp, in der schule und in anderen politischen orten gegen sexismus kämpfen.“ [2] (Rechtschreibung im Original)
An diesem krassen Beispiel sieht man, wohin die Reise geht: Die Linke verteidigt heute nicht mehr das, was sie einstmals als ihre Kernanliegen betrachtet hat, nämlich das, was sie im weitesten Sinne unter ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Emanzipation verstanden hat. Im Gegenteil leistet sie heute unter dem Vorwand verquerer Konstruktionen, wie der „Critical Whiteness“, dem Abbau unserer zivilisatorischen Errungenschaften Vorschub. Im Rahmen dieses Irrsinns wird Männern aus fremden Kulturkreisen, mit abstoßenden Vorstellungen von der Rolle und dem Wert der Frau, mehr Verständnis entgegengebracht, nachdem sie junge Aktivistinnen aus ihren eigenen Reihen vergewaltigt haben, als den Opfern, die in ihrer Hilflosigkeit versuchen, eine Öffentlichkeit für ihr Leid zu finden.
…und die Ketzer
Nach diesem Vorfall sind mittlerweile mehr als zwei Jahre vergangen und man könnte die Hoffnung haben, dass in der Zwischenzeit eine kritische Auseinandersetzung begonnen hat, die Vergleichbares in der Zukunft zu vermeiden sucht. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Europa – und hier vor allem Deutschland und Österreich – wird derzeit von einem unvergleichbaren Ansturm an sogenannten und echten Flüchtlingen überrannt. Die Liste der unglaublichen Begebenheiten, die dies zur Folge hat, ist mittlerweile auf eine unüberschaubare Länge angewachsen: Da werden Familien aus städtischen Wohnungen geworfen, Studentenheime, Schulen und Kindergärten geräumt, um „Refugees“ unterzubringen. Die Kommunen ächzen unter der immer größer werdenden Last der Pflicht, diese zu beherbergen und zu verpflegen und gehen stellenweise sogar dazu über, Steuererhöhungen durchzuführen, um diese Last noch bewältigen zu können. [3] Derweil sind komplette Polizeidienststellen den ganzen Tag über damit befasst, das aus der zumeist illegalen Einwanderung resultierende Chaos zu verwalten, und können ihren eigentlichen Aufgaben kaum mehr nachgehen.
Und dann, ja dann, also in einer völlig außer Kontrolle geratenen Situation, äußern sich Bedenkenträger und Einwanderungskritiker – und werden nicht etwa gespannt angehört, sondern als Rassisten und Rechtsextreme bezeichnet und von jedweder öffentlichen Debatte ausgeschlossen – obwohl genau diese kritischen Stimmen zunehmend immer größere Teile des Volkes repräsentieren.
Was ist da also los? Wie kommt es dazu, dass die Deutschen – und unter ihnen vor allem die vermeintlich progressiven – so jedes Maß in dieser Sache vermissen lassen?
Weil der „Flüchtling“ mittlerweile eine Rolle in unserer säkularisierten, postmodernen Gesellschaft einnimmt, die zuvor nur dem Heiligen vorbehalten war.
Der Soziologe Wolfgang Schluchter beschreibt die Wesensmerkmale des Heiligen folgendermaßen: „Für das Heilige sind Absonderung vom Profanen und unbedingter Verpflichtungscharakter typisch, weil es der Ort kollektiver Identitätsdefinition ist.“ [4]
Das Heilige – oder, in personifizierter Form, der Heilige – zeichnet sich demnach vor allem durch eines aus: seine unhinterfragbare Sonderstellung. Insofern es diese genießt, wird das Heilige so zum zentralen Element der eigenen Selbstfindung, da die Grenzen, die die eigene Identität ausmachen, nach oben hin vom Heiligen, nach unten hin vom Ketzer, Zweifler und Abtrünnigen bestimmt werden. Die Grenzziehung erfolgt (zumindest hier) gnadenlos. Das Profane ist hierbei das Eigene; das Fremde wird zum Sakralen, wie auch an der szenetypischen Besessenheit der Linken mit Radio Multikulti, Dritt-Welt-Reisen und Wursthaaren beobachtet werden kann. Aber auch in bürgerlichen Kreisen schickt es sich heutzutage mehr, in die Thai-Fusion-Bar zu gehen, als im „Deutschen Haus“ zu speisen. Die richtige Wahl des kulturellen Ambientes wird zum Glaubensbekenntnis; das dortige Brotbrechen zum Abendmahl.
Neue sakrale Kultur
Die Vermittlung des Heiligen hat innerhalb von Gesellschaften stets ein besonderes Narrativ und eine entsprechende Ikonographie hervorgebracht. Das Sakrale findet traditionell Huldigung in allen möglichen Formen menschlichen Ausdrucks: Gesang, Malerei, Lobpreis. Und auch in Bezug auf die These, dass Flüchtlinge nun mehr und mehr die Funktion des Heiligen übernehmen, lassen sich viele Bilder und Erzählungen finden, die diese Annahme bestätigen.
Die wohl bekannteste musikalische Widmung erfährt der Flüchtling von der US-Band Rise Against: In ihrem „Prayer of the Refugee“ heißt es:
„We are the angry and the desperate,
The hungry, and the cold,
We are the ones who kept quiet,
And always did what we were told.“
Und weiter:
„But we’ve been sweating while you slept so calm,
In the safety of your home.
We’ve been pulling out the nails that hold up
Everything you’ve known.“
Neben hagiographischen Elementen des Lebensweges des „unbekannten Flüchtlings“ wird hier ein anderer Aspekt des Heiligen deutlich. Dieser ist auch immer Weg zur Erlösung, zur Erlösung von der eigenen Schuld. Diese Schuld wird hier konkret angesprochen: Der Flüchtling schwitzte, während wir schliefen. Eine direkte Anspielung auf die „Sünden“ des Weißen Mannes: Kolonialismus, Sklaverei, Imperialismus.
Doch der Text erfährt eine Wendung: Der Flüchtling arbeitete nicht bloß, während wir schliefen, sondern er begab sich daran, die Grundfesten all dessen einzureißen, was wir kennen: unserer Zivilisation. Dem „heiligen“ Treiben nachzugeben, deutet so den Weg aus der ewigen Schuld Europas an: In der eigenen Vernichtung liegt die Erlösung. Der Messias ist dabei der unbefleckte Flüchtling, in der neuesten Version des „edlen Wilden“. (Hier ein Beispiel für eine ähnliche musikalische Aufbereitung.)
Auch in Bild und Schrift sind vergleichbare Narrative in Hülle und Fülle vorhanden. Keine Tageszeitung, die uns nicht mit bewegenden Flucht-Geschichten versorgen würde, entsprechende graphische Untermalung inklusive. Derlei Botschaften zeichnen sich allerdings selbst im öffentlichen Raum nicht minder durch ihre Allgegenwärtigkeit aus: Pro Asyl, Caritas, Misereor – sie alle verbreiten auf ihren Werbetafeln vehement herzerweichende Bilder von vorzugsweise minderjährigen Flüchtlingen mit dazugehörigem Imperativ. Der Tenor dabei stets: Der Verstand hat nun einmal Ruhe zu geben. Den Flüchtlingen müsse nun, nach ihrer gefährlichen Reise, mit dem Herzen begegnet werden. Da ist es: Das Herz, die Liebe, die gegenüber dem Verstand eingefordert wird und unweigerlich an ein christliches Dogma erinnert:
„Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ 1. Korintherbrief, 13
Das christliche Gebot der Nächstenliebe, das sich in dem Brief des Paulus an seine Gemeinde in Korinth äußert, wird in der aktuellen Flüchtlingsdebatte jedoch vollends ad absurdum geführt. Schließlich befinden sich viele derjenigen, die derzeit nach Europa strömen, allein aufgrund ihrer Entscheidung, selbstständig und vor allem illegal nach Europa einzureisen, in ihrer Zwangslage, die die Europäer so vor unnötig vollendete Tatsachen stellt. Doch die ethnomasochistische Ersatzreligion der heute vom Schicksal der „Flüchtlinge“ so Bewegten ist ja gerade nicht das Christentum, sondern lediglich eine postmoderne Entstellung dessen kulturellen Vermächtnisses.
All diejenigen, über die nur noch posthum berichtet werden und den nun kein aktives Helfen mehr entgegengebracht werden kann, füllen innerhalb des gegenwärtigen Dramas die hagiographische Klimax, den Märtyrertod aus: Das Ertrinken im Mittelmeer wird so zur Heiligsprechung – all jene, die die Überfahrt geschafft haben und auch ihre Gefährte, werden zum lebendigen Mahnmal.
„Zu Gott zu sprechen ist ein Gebet. Spricht Gott zu dir, ist es eine Psychose.“
Doch selbst „Die Toten kommen“ noch zurück, um die sündigen Zweifler an die Heiligkeit des Flüchtlings zu gemahnen. Wie der Heiland einst aus dem Felsengrab, steigen die transzendenten Flüchtlinge herab zum Reichstag. Da liegt es nahe, dass selbst der Papst eine bedingungslose Aufnahme der mediterranen Findelkinder verlangt. Sogar sakrale Gesänge werden den neuen Heiligen gedichtet, die sodann in eigenen Gottesdiensten vorgetragen werden.
Wie jede Religion allerdings, besonders wenn sie sich über einen gewissen Zeitraum institutionalisiert, verfällt auch der neue Flüchtlings-Glaube der Bigotterie. Ihre Doppelmoral wird an ihrer zentralen Figur deutlich: Das Leid der Menschen, die in eine ungewisse Zukunft aufbrechen, die häufig in Elend, Ausbeutung und Tod endet, soll nun gemindert werden, indem noch mehr aufgefordert werden, sich auf eben jene Reise zu begeben. Gleichzeitig wird mit der chaotischen Schwemme von hunderttausenden Einwanderern das Fundament der Gesellschaft angesägt, die den Spuk bezahlt und sogar noch die Priesterkaste durchfüttert. Hier wird nicht nur ein voranschreitender Realitätsverlust – sondern auch die Überzeugungskraft des Klingelbeutels deutlich, den man sich eifrig von allen Seiten befüllen lässt. Im Buch Kohelet heißt es dazu passend: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“
[1] http://de.indymedia.org/2013/05/345257.shtml
[2] ebd.
[3] http://www.rp-online.de/nrw/staedte/mettmann/grundsteuer-erhoeht-asylbewerber-schuld-aid-1.5236097
[4] Wolfgang Schluchter, Die Entstehung des modernen Rationalismus. Eine Analyse von Max Webers Entwicklungsgeschichte des Okzidents.